Jede(r) kennt das Gefühl, der heftige Druck auf der inneren Wasserleitung, der immer dann am unerträglichsten wird, wenn entweder gar keine Toilette in der Nähe ist oder – noch schlimmer – die einzige Toilette in Reichweite abgeschlossen ist. Dann wird der arme Mensch unter Druck ohne es zu wollen zum Wildpinkler und eine unbeteiligte Mauer oder Grünanlage wird kurzzeitig zweckentfremdet. Deshalb hatte die große Stadt Frankfurt seit 2018 ein Toilettenkonzept ausgearbeitet mit dem Ziel, das Stadtgebiet flächendeckend mit öffentlichen Toiletten auszurüsten. Da es der Bankenstadt Frankfurt immer noch nicht gelungen ist, im Römer einen Geldesel zu finden, der Dukaten und Goldstücke pinkelt, war auch klar, dass leider nicht unbegrenzt finanzielle Mittel zur Verfügung stehen würden und man vielleicht auch gewisse Abstriche in Kauf nehmen müsse. So wie in Harheim eben. Im Gegensatz zum Frankfurter Paulsplatz ist Harheim tagsüber geradezu menschenleer und damit wäre der Bau und Unterhalt einer neuen Systemtoilette am Stadtrand mangels ausreichender Pinkler*innen überhaupt nicht wirtschaftlich darstellbar. Zum Glück erinnerte sich jedoch wohl jemand mit geheimem Insiderwissen, dass es dem Hörensagen nach auf Harheims Friedhof eine Toilette gäbe, die man in einem einfachen formalen Akt per Erlass zur öffentlichen Toilette umdeklarieren könne.
So weit so gut. Bei einer Begehung des Seniorenbeirates regte dieser jedoch an, das einzige öffentliche stille Harheimer Örtchen hinsichtlich der einer Eignung für Menschen mit Handycap ein deutliches Verbesserungspotential ausschöpfen sollte. Zudem fehlten bei der unangekündigten spontanen Kontrolle ein Minimalgrundbestand an hygienischen Verbrauchsartikeln wie Toilettenpapier und Handtücher. Wenn schon offiziell öffentliche Toilette, dann doch mit Stil und eine behutsame Eignungsaufrüstung wäre ganz bestimmt sinnvoll. Der Magistrat sollte daher das öffentliche Örtchen „so weit wie möglich“ DIN-gerecht umbauen und es in höherem Maße behindertengerecht machen. Alle Fraktionen im Harheimer Ortsbeirat stimmten diesem Antrag zu.
Nun aber zeigte der Magistrat den Harheimer*innen gleich mal die gelbe Karte inclusive einer äußerst merkwürdigen Begründung. Der Harheimer Friedhof gehöre mit seinen 37 Beisetzungen zu den kleinsten Friedhöfen in Frankfurt am Main und viele der anderen Friedhofstoiletten wären in einem deutlich schlechteren Zustand. Das Grünflächenamt müsse schließlich mit den gebührenfinanzierten Haushaltsmitteln wirtschaftlich umgehen. Daher wird der Umbau der Harheimer Friedhofstoilette „nicht prioritär verfolgt“. Die einfachste Übersetzung dafür ist „Sankt Nimmerleinstag“. Und hinsichtlich des Toilettenpapiers lägen keine Beschwerden vor. Ende der Ansage.
Offenbar hatte der Magistrat übersehen, dass nicht die Harheimer Bürger*innen, sondern der Magistrat selbst stolz die Friedhofstoilette zur öffentlichen Toilette hochgeadelt hatte, um mit einer flächendeckenden Frankfurter Kloabdeckung prahlen zu können. Möglicherweise hatte es sich im Grünflächenamt aber auch gar nicht herumgesprochen, dass die Frankfurter Stadtregierung massenweise Friedhofstoiletten mit dem Prädikat „öffentliche Toilette“ ausgezeichnet hat, die Unterhaltungskosten aber das Grünflächenamt weiterhin alleine tragen soll.
Ausgerechnet die Grünen in Harheim hatten daher die nächste Runde eingeläutet und wollten den Magistrat auffordern, das Grünflächenamt von der Höherstufung der armen Friedhofstoilette zur öffentlichen Toilette in Kenntnis zu setzen und „abzustimmen und sicherzustellen, wer für den zusätzlichen Aufwand hinsichtlich der Bereitstellung von Hygieneartikeln sowie Reinigung und Pflege aufkommt und wer die Kosten für die … Umrüstung für eine optimierte Behindertenfreundlichkeit übernimmt“.
Jetzt aber plötzlich zeigten sich die Ortsbeiräte der CDU und BFF überrascht. „Die Friedhofstoilette als öffentliche Toilette? Das geht doch gar nicht“. Anstelle der Toilette auf dem Friedhof sollte doch eher eine öffentliche Toilette am Wasserhäuschen an der Eschbachbrücke oder in der Nähe der Sportanlage gebaut werden. So würden sie dem Grünen Antrag nicht zustimmen.
Aber Momentchen mal! Der Grüne blättert in seinen Niederschriften. Am 5.12.2022 hatten die Ortsbeiräte von BFF und CDU dem Frankfurter Toilettenkonzept (M174) ausdrücklich zugestimmt. Und damit auch der öffentlichen Harheimer Friedhofstoilette. Jetzt, fünf Monate später, wollen einige Harheimer Ortsbeiräte das genaue Gegenteil und alles noch mal ganz neu durchdiskutieren. Erst ja. Dann nein?
Wir haben das Jahr 2023 n. Chr. Nach intensiven Beratungen hat der Magistrat Frankfurts innerhalb fünf Jahren ein für Frankfurt flächendeckendes Konzept Öffentlicher Toiletten ausgearbeitet, das an einigen Punkten noch verbessert werden kann. Für ganz Frankfurt? Neiiiin. Da gibt es einen kleinen Stadtteil am Rande der großen Stadt, der offenbar weitere fünf Jahre diskutieren möchte.
Toilettenkulturkampf in Harheim