Sandra U. verlässt am Montagmorgen gegen 8 Uhr in Berlin das Haus und macht sich mit ihrem Rennrad auf den Weg zur Arbeit. Zehn Minuten später wird sie zwischen Nachodstraße und Spichernstraße von einem LKW erfasst. Die 44-jährige erfahrene Radfahrerin stürzt auf die Fahrbahn und wird von dem Betonmischer überrollt. Mit schwersten Verletzungen wird sie ins Krankenhaus gebracht und stirbt drei Tage später.
Während sich noch Rettungskräfte der Feuerwehr um die Frau kümmern, die unter dem LKW eingeklemmt ist, wird der 64-jährige Fahrer des Betonmischers von einem Mann mit einem Messer angegriffen und verletzt.
Am Unfallort wird ein Spezialfahrzeug der Feuerwehr angefordert, um den schweren Betonmischer anzuheben, damit die verunglückte Frau darunter geborgen werden kann.
Eine Stunde bevor Sandra U. an diesem Morgen das Haus verlässt, informieren zwei Männer der radikalen Klimaschutzgruppe „Aufstand der letzten Generation“ die Polizei telefonisch von der Klimablockade, die sie gleich beginnen. Sie erklimmen die Schilderbrücke über der durch Berlin verlaufenden A100 am Dreieck Funkturm und kleben ihre Finger mit Sekundenkleber ans Metall. Der Berufsverkehr ist dicht, aber läuft noch. Die Polizei ist wenig später vor Ort und versucht vergeblich, die zwei Aktivisten zum freiwilligen Verlassen der Schilderbrücke zu bewegen. Eine halbe Stunde später sind dann zwei der drei Fahrspuren auf der A100 gesperrt, der Verkehr fließt zäh, und zwischen Dreieck Charlottenburg und Dreieck Funkturm entsteht ein Stau von zwei Kilometern Länge.
Um 8.26 Uhr wird die Mannschaft des Rüstwagens RW3 alarmiert. Drei Minuten später macht sich das Fahrzeug auf den Weg zum 9,4 Kilometer entfernten Unfallort. Normal braucht die Feuerwehr etwa 14 Minuten für diesen Weg bei freier Fahrt. Aber das Spezialfahrzeug RW3 gerät nun in den Stau am Dreieck Funkturm. Zähfließender Verkehr. So ist das Fahrzeug wegen dem Stau 16 Minuten unterwegs, bis es am Unfallort eintrifft. Zwei Minuten später also.
Inzwischen hatte dort die Notärztin aber entschieden, aus medizinischen Gründen auf das Anheben des Betonmischers zu verzichten. Der LKW sollte aus eigener Kraft wegfahren, damit die schwerverletzte Frau geborgen werden kann. Selbst wenn der Rüstwagen RW3 fünf Minuten früher eingetroffen wäre – er wäre nicht gebraucht worden.
Wie konnte es zu diesem Unfall kommen? An dieser Stelle gibt es einen vom Kfz-Verkehr getrennten separaten Radweg. Jedoch hatte sich die erfahrene Bikerin entschieden, auf der Straße zu fahren. Mit gutem Grund möglicherweise. Nach Angaben der Schwester von Sandra U. ist an dieser Stelle „der benutzungspflichtige Radweg eine Holperpiste, auf der man mit Rennrad eigentlich gar nicht fahren kann“.
In diesem Jahr sind in Berlin bis jetzt neun Radfahrerinnen und Radfahrer tödlich verunglückt. In drei Fällen davon war ein LKW beteiligt. Der einzige Unfall, der bundesweit für Schlagzeilen sorgt, ist der, bei dem fünf Kilometer entfernt Klimaaktivisten sich an einer Schilderbrücke festkleben und die Polizei sie dort runterholt.
Wer also ist nun schuld am Tod von Sandra U.?
mit nachdenklichen Grüßen
Helmut Seuffert
Fakten, Informationen und Links
adfc Berlin: Getötete Radfahrende 2022