27.03.2024 Harheim und das Konzept der 15-Minuten-Stadt.

15 Minuten können erstaunlich schnell vorüber sein

Bleischweres Thema für den Ortsbeirat Harheim. Die SPD-Fraktion Harheims beantragt, dass der Magistrat prüft, ob und wie in Harheim das stadtplanerische Konzept der 15-Minuten-Stadt umgesetzt werden kann. Ganz besonders wichtig ist den Sozialdemokraten dabei ein 15-Minuten-Takt für die Busse und S-Bahnen, damit die Werktätigen und Schüler*innen schneller und pünktlicher zu ihren Zielpunkten kommen. Und da soll der Rufbus Knut der 15-Minuten-Stadt Beine – oder eher Reifen – machen, und auch Bestandteil des Konzeptes werden. Aber können solche neumodischen Ideen in Frankfurt überhaupt funktionieren? 15-Minuten-Stadt, was ist das überhaupt?

Die „15-Minuten-Stadt“
ist ein städteplanerisches Konzept, das darauf abzielt, Städte so zu gestalten, dass die Bewohner*innen innerhalb von 15 Minuten zu Fuß, mit ÖPNV oder mit dem Fahrrad Zugang zu den meisten ihrer täglichen Bedürfnisse haben. Das Konzept wurde von dem französischen Stadtplaner Carlos Moreno entwickelt und soll dazu beitragen, die Lebensqualität in Städten zu verbessern, den Verkehr zu reduzieren, die Umweltbelastung zu verringern und soziale Verbindungen zu stärken.
In einer 15-Minuten-Stadt sollen Wohnungen, Arbeitsplätze, Schulen, Geschäfte, Dienstleistungen, Grünflächen und öffentliche Verkehrsmittel so angeordnet sein, dass sie leicht zu erreichen sind, ohne auf private Autos angewiesen zu sein. Dies ermutige die Menschen, aktiv zu werden, fördert die lokale Wirtschaft und trägt zur Schaffung lebendigerer Gemeinschaften bei.

Aber der 15-Minuten-Stadt-Erfinder Carlos Moreno ist ein Stadtplaner und kein Verkehrsplaner. Stadtviertel und selbst ganze Städte können an jedem Reißbrett der Welt einfach und problemlos von der Stunde Null an geplant werden. So können Morenos Ideen sicher auch am Stadtrand theoretisch möglich sein, am besten eben, soweit es sich um neue Entwicklungen handelt, um unbebaute Wüsten oder Grünflächen, die neu bebaut werden. Wie etwa beim zukünftig neuen Frankfurter Stadtviertel entlang der A5. Ist aber die Stadtplanung der letzten Jahrzehnte schon mal gründlich vermurkst und das Gymnasium Nord liegt in 30 Minuten Fahrtzeit vom Norden entfernt im Westen, können auch die schönen Ideen das Konzept nicht mehr retten. Hat man in den Neubaugebieten vor 20 Jahren eine Grünfläche, eine Kindertagesstätte, einen Nahversorger, ein Ärztezentrum oder ein Bürgerhaus vergessen, dann ist da einfach kein Platz mehr dafür da. Was wird dann in der Praxis aus der 15-Minuten-Stadt wenn die nächste Notdienstapotheke, der nächste Kinderarzt, die nächste Kneipe oder der nächste Orthopäde erst nach einer langen Odyssee erreicht wird?   

Prominente Beispiele für 15-Minuten-Städte…
gibt es dabei weltweit. Schauen wir doch mal, was da bisher geschehen ist:

Paris, Frankreich: Die Stadt Paris hat sich das Ziel gesetzt, bis 2030 eine 15-Minuten-Stadt zu werden. Die Stadt plant, die lokalen Einrichtungen und Dienstleistungen in Wohngebieten zu stärken und sicherzustellen, dass die Bewohner innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad Zugang zu allem haben, was sie für ihr tägliches Leben benötigen. Also konkret: Paris hat sich das Ziel gesetzt und plant. Aber geschehen ist offenbar noch nichts.

Melbourne, Australien: Die Stadt Melbourne hat ähnliche Pläne angekündigt, um eine 20-Minuten-Stadt zu werden, was ähnliche Ziele wie die 15-Minuten-Stadt verfolgt. Dies beinhaltet die Schaffung von lebenswerten Vierteln mit guter Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel und lokale Einrichtungen. Aha. Melbourne, Australien hat Pläne angekündigt. Umgesetzt ist noch nichts.

Portland, Oregon, USA: Portland hat in den letzten Jahren Initiativen gestartet, um den Zugang zu lokalen Einrichtungen und Annehmlichkeiten in verschiedenen Vierteln zu verbessern, wodurch es den Prinzipien einer 15-Minuten-Stadt näherkommt. Portland, oho, mal nachforschen, was da konkret passiert ist und ja, da finden wir was: Portland hat offenbar in den Ausbau des öffentlichen Verkehrssystems investiert einschließlich Straßenbahnen, Bussen und der MAX Light Rail. Aja, MAX Light Rail ist ein Stadtbahnsystem in Portland, dessen Züge in einem 15 Minuten Takt fahren und deswegen kein Fahrplan notwendig ist. Portland hat Fahrradwege und -spuren ausgebaut, um den Fahrradverkehr sicherer und attraktiver zu machen. Portland hat Fußgängerzonen geschaffen oder erweitert, um sichere öffentliche Räume zu schaffen. Die Stadt hat sich für eine gemischte städtebauliche Entwicklung eingesetzt, die Wohn-, Arbeits- und Einzelhandelsflächen in einem Viertel integriert. Durch die Mischung der Funktionen können Bewohner ihre täglichen Bedürfnisse leichter innerhalb kurzer Entfernungen erfüllen. Und dann hat Portland auch noch verschiedene grüne Initiativen gestartet, um die Umweltbelastung zu reduzieren und die Liebensqualität in der Stadt zu verbessern. Konkret: Die Schaffung von Parks, Gemeinschaftsgärten und grünen Flächen sowie Programme zur Förderung der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes. Standing ovations. Prima, Leute, das ist doch wenigstens mal ein bisschen mehr als nur Absichtserklärungen und Zielvereinbarungen.

Kopenhagen, Dänemark: Kopenhagen hat sich zum Ziel gesetzt, eine „One-Minute City“ zu werden, was noch ehrgeiziger ist als die 15-Minuten-Stadt. Die Idee ist, dass die Bewohner innerhalb von einer Minute zu Fuß Zugang zu allen grundlegenden Dienstleistungen haben sollen. Oh, süüüsss. Kopenhagen bekommt also von uns sofort den Charme-Preis für die schönsten flauschigen Worte. Die haben offenbar eine kommunikationsstarke und marketingerprobte Stadtregierungstruppe. Ob schon was von den kuscheligen ehrgeizigen Ambitionen real zum Anfassen umgesetzt ist? Offenbar nicht.

Barcelona, Katalonien. Die Stadt Barcelona hat verschiedene Initiativen gestartet, um die Lebensqualität in den städtischen Gebieten zu verbessern und gleichzeitig die Abhängigkeit vom Auto zu verringern. Die Stadtverwaltung von Barcelona hat Maßnahmen ergriffen, um die Entfernungen zwischen Wohnungen und Einrichtungen wie Schulen, Geschäften, Parks und öffentlichen Verkehrsmitteln zu verkürzen. Dies beinhaltet die Schaffung von mehr Fußgängerzonen, Fahrradwegen, öffentlichen Plätzen und Grünflächen in der Nähe von Wohngebieten.

Ein wichtiges Projekt in Barcelona ist das sogenannte „Superblocks“ -Konzept, bei dem mehrere Straßenblöcke zu autofreien Zonen umgestaltet werden. Dies schafft Platz für Fußgänger, Radfahrer, Parks und öffentliche Plätze, die den Bewohnern ermöglichen, ihre täglichen Bedürfnisse innerhalb kurzer Geh- oder Radfahrentfernungen zu erfüllen. Barcelona ist daher ein bedeutendes Beispiel dafür, wie das Konzept der 15-Minuten-Stadt in einer städtischen Umgebung umgesetzt werden kann, um die Lebensqualität der Bewohner zu verbessern und die Stadt insgesamt lebenswerter zu gestalten. Molt bé und muy bueno. Die Katalanen und Spanier haben´s offenbar irgendwie drauf. Denn immerhin hat sich der Ruf der legendären Superblocks bis nach Frankfurt Bockenheim rumgesprochen. Wie es die Barcelones*innen allerdings schaffen wollen, Entfernungen zwischen Wohnungen, Schulen, Parks und öffentlichen Verkehrsmitteln zu reduzieren, das würde ich mir persönlich gerne zeigen lassen, weil sich mit herkömmlichen Methoden durch mehr Fahrradwege und Grünflächen die Kilometer zwischen A und B selten schrumpfen lassen. („Liebling ich habe die Kilometer geschrumpft“). Aber die kreativen Katalan*innen haben oftmals überraschende Tricks auf Lager.  

Könnte KNUT im 15-Minuten-Stadtteil Harheim eine Rolle spielen?

Vorläufige Zwischenbilanz.
Mit Ausnahme von Portland und Barcelona haben die anderen 15-Minuten-Städte sich Ziele gesetzt und mit Planungen begonnen. Das ist also so, wie wenn ich mir vornehme, einen Marathon zu laufen und ich beginne damit, dass ich mich mit einer Tüte Chips und einem Bembel Äppler auf die Couch vor die Glotze lege und mir die Aufzeichnungen der letzten Frankfurt-Marathons ansehe, um mich mental einzustimmen. Das ist halt einfach ein bisschen wenig.

Völlig im Dunkel geblieben ist ebenso, ob – wenn von der 15-Minuten-Stadt geredet wird – bei den prominenten 15-Minuten-Städten wirklich die ganze Stadt bis an die Stadtgrenzen gemeint ist, oder ob man klammheimlich entschieden hat, die 15-Minuten-Garantie vorläufig mal – wenn überhaupt – im inneren Kern der Städte auszuprobieren. Der Vorteil läge auf der Hand. Dort könnten die Bedingungen für eine 15-Minuten-Stadt vielleicht schon erfüllt sein, ohne dass man noch viel tun müsste.

Die 15-Minuten-Stadt Frankfurt
Sucht man in Frankfurt nach der 15-Minuten-Stadt, findet man sie zuerst als Bildungsangebot im Deutschen Architekturmuseum. Die 15-Minuten-Stadt Frankfurt schon im Museum? Witzig. Ein Blick auf den aktuellen Stadtplan legt den Eindruck nahe, dass innerhalb des Frankfurter Alleenrings aufgrund des dichten Netzes an Bussen und Bahnen und aufgrund des Ausbaus der Radverkehrswege in den letzten Jahren die Bedingungen für die 15-Minuten-Stadt-Frankfurt schon weitgehend erfüllt sein könnten und die Stadtregierung sich beruhigt an die Bestellung und Montage der „15-Minuten-Stadt“-Schilder machen kann.

Werden aber alle Frankfurter Stadtteile bis an die Grenzen in dieses Konzept einbezogen, sieht die Sache gründlich anders aus, Frankfurts Stadtplaner stehen vor den gleichen Problemen wie ihre Kollegen in Paris, Melbourne, Kopenhagen und Barcelona und das schöne Etikett mit der „15“ drauf könnte ganz schnell zum Etikettenschwindel mutieren. Oder man greift noch einmal tief in die politverbale Marketingtrickkiste.

Wichtiges Element der 15-Minuten-Stadt: Ausbau der Radwege

Denn 15-Minuten-Stadt bedeutet nicht, dass alle Wege in einer Stadt innerhalb einer Viertelstunde irgendwie mit ÖPNV oder Rad erreicht werden sollten, sondern nur, dass die Bewohner der Stadt innerhalb dieser Zeit Zugang zu den meisten ihrer täglichen Bedürfnisse haben. Da könnte für die Harheimer*innen auch Bad Vilbel in Frage kommen. Dann könnten Harheimer Kinder in den Vilbeler Kinderbetreuungseinrichtungen willkommen sein, die Vilbeler Kinderärzte werden kleine Frankfurter Stadträndler*innen gerne behandeln und das Freibad Bad Vilbel steht auch Schwimmer*innen aus Harheim offen. Das Vilbeler Kongresszentrum VILCO liegt im 15-Minuten-Radius, genauso wie das Kulturzentrum und Kino Alte Mühle. So betrachtet ist die 15-Minuten-Stadt auch im Frankfurter Stadtteil Harheim fast erfüllt. Die richtige Festnetz-Vorwahl haben die Harheimer*innen ja schon seit alten Zeiten. Aber vielleicht behalten wir diese Gedanken erst einmal für uns. Bevor der Frankfurter Magistrat freudenstrahlend erklärt, dass Hessens gefühlte Äppler-Hauptstadt selbstverständlich und gerade wegen Bad Vilbel schon lange bis an die Grenzen der Stadt eine „15-Minuten-Stadt“ ist.

Was ist nun mit dem SPD-Antrag?
Die große Stärke des SPD-Antrages ist zweifellos, dass er den Finger in die offene Mobilitätswunde legt. Denn selbst nach dem Abschluss des vermeintlichen S6-Beschleunigungsprogramms der Bahn sind in der Praxis Harheimer*innen – oder überhaupt Frankfurter*innen im Norden der Stadt – weit davon entfernt, mit dem Rad oder dem ÖPNV die alltäglichen Wege in einer zumutbaren Zeit zu bewältigen und dafür aufs eigene Auto zu verzichten. Zu viele minutenfressende Umsteige-Hürden und zu weite Fußmärsche zwischen Bus und S-Bahn fressen von der Wunschviertelstunde zu viel weg. Klar, das 15-Minuten-Stadt-Konzept bezieht sich keineswegs nur auf Mobilität und ÖPNV. Aber wenn sich zudem öffentliche Dienstleistungen, Schulen, Bürgerhäuser, Kinderbetreuungseinrichtungen, Ämter, Verwaltungsstellen, Sozialrathäuser, Car-Sharing-Möglichkeiten, E-Ladesäulen, Kultur- und Veranstaltungsräume nach und nach aus den Stadtteilen am Rande der Stadt in die City zurückziehen oder erst gar nicht am Stadtrand entstehen, ist eine offene Diskussion über die 15-Minuten-Stadt Utopie in ganz Frankfurt wichtiger denn je.

Fakten
Antrag der SPD OF 172/14: Harheim – Anwendung des Konzeptes der 15-Minuten-Stadt.

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