Kommentar

Die neue hessische Regierung aus CDU und SPD hat es eilig. Sie will die Reinheit der deutschen Sprache retten und sie fangen mit den Abiturient*innen schon mal an. Diese jungen Menschen, die aktuell in den Abitursprüfungen schwitzen, hatten während ihrer 12 oder 13 Schuljahren nicht nur das Schreiben und das Lesen gelernt, sondern in den Leistungskursen der Oberstufe oft genug mit Hingabe und Leidenschaft sich in Sprachen und in Literatur eingearbeitet. Sie haben die vielfältigen Möglichkeiten gelernt, mit Sprache umzugehen, und mit dem Werkzeugkasten der Grammatik ihre Gedanken oder Gefühle mal klar und präzise auszudrücken oder auch mal lyrisch zu umschreiben.

Sie haben aber auch gelernt, dass Sprache sich verändert. Neue Worte, Begriffe und Redewendungen erweitern die Ausdrucksmöglichkeiten, andere fallen dafür aus dem Alltagswortschatz heraus. Wer heute eine junge Abiturientin mit „Fräulein“ anredet, hat die letzten 50 Jahre auf einer einsamen Insel verbracht oder er verwendet diese Anrede als Drohung. Genauso wie die Gesellschaft sich verändert, verändert sich Sprache. So wie die jungen Menschen gelernt haben, dass es vielleicht doch nicht nur zwei festgelegte Geschlechter gibt, sondern die Welt sehr viel vielfältiger ist, als gedacht. Ebenso versuchen junge und alte Menschen, diese neuen Erkenntnisse, neuen Lebensrealitäten, gesellschaftliche Wirklichkeiten in die Sprache einfließen zu lassen. Und dass „Die Lehrer*innen und Schüler*innen“ die Lesbarkeit mehr beeinträchtigen als „Die Lehrerinnen und Lehrer und die Schülerinnen und Schüler“ das ist doch wohl nur ein Aprilscherz.  

Es ist einfach nur eine Frage des Respekts, die weiblichen Wortformen mit einzubeziehen.
Mit dem Wegfall der Gender-Sonderzeichen wird überhaupt nichts einfacher, sondern nur komplizierter. Es ist ein Rückschritt. Und hat ausschließlich politische Gründe.

Es ist nur eine Frage des Respekts,
die weiblichen Wortformen mit einzubeziehen.



Wenigstens die Goethe-Universität in Frankfurt spricht mit klarer Sprache: „Die hessischen Universitäten verstehen sich als vielfältige und inclusive Orte, die sich für die Verwirklichung von Gleichstellung, Diversität und Antidiskriminierung zum Ziel gesetzt haben. Dazu gehört die Möglichkeit, Personen aller Geschlechtsidentitäten in der Ansprache einbeziehen zu können“. Diese Universität trägt die Bezeichnung „Goethe“ also nicht nur aus historischen Gründen im Namen.

Aber die Goethe-Uni legt noch nach: „Ein Eingriff der Landesregierung in die Sprache an den Hochschulen wäre eine massive Einschränkung der im Grundgesetz und in der Hessischen Verfassung garantierten Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre“.

Nun hat die neue hessische Landesregierung sich im ersten Schritt an den harmlosen Abiturient*innen gerächt. Wenn die in der Prüfung Sprache so einsetzen, wie sie es jahrelang gelernt haben, kriegen Sie jetzt Fehler angestrichen und können wegen schlechterer Noten eventuell nicht mehr Bänker*innen oder Jurist:innen werden. Die können nichts gegen den Hass und die Abneigung mancher Landespolitiker/-innen gegen das Gendern. Aber wird im nächsten Schritt die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre eingeschränkt? Oder werden sich Journalist*innen demnächst vor dem hessischen Rechtschreibordnungsamt erklären müssen?




Mit nachdenklichen Grüßen


Helmut Seuffert